...ich greife einen alten Faden wieder auf: Vom Wünschen und Wollen.

Du entdeckst Dein Wünschen wieder - und feierst das als ein Resultat der rückgewonnenen Freiheit. Aber war es nicht genau umgekehrt? Waren nicht die Wünsche schon immer da und wuchsen im Bauch oder hinter Deinem Rücken - und haben sich schließlich ihr Recht verschafft: Wieder allein leben!

Ich bin immer wieder verblüfft, wie weit Du Dich selbst (und offenbar mit Dir eine ganze Generation) auf jene äußerliche Anpassung eingelassen, wie weit Du Dir jene Zeitgeist-Maximen einmal zu eigen gemacht hast: Welches Vakuum an Orientierung und Werten muß da geherrscht haben, nachdem die 68er klar Schiff gemacht hatten!

Nun also: Wünsche, die das Ureigene bedienen sollen. Nicht mehr das geschundene Selbst in die vorgedachte und verbaute Welt zwängen, sondern die Welt um das Ich aufbauen? Vorsichtig erfühlen, was das Ich mag und will. Skrupulös abwarten, ob dieser Wunsch nicht nur eine Laune nach zu langer Nacht ist, jene Idee ein plötzliches Entflammtsein vom gerade Neuentdeckten. Und irgendwann in die Not geraten, doch zwischen lauter unzureichenden Alternativen wählen zu müssen.
Möbel: alles wegschmeißen und unter'm S-Bahn-Bogen ("Hier kaufen Sie die Antiquitäten von morgen") oder bei Ikea neu besorgen?
Lampen: ein einziges Trauerspiel!
Betten: Leicht und unauffällig ("Wir wollen ja kein bürgerliches Schlafzimmer!") verträgt sich nicht mit gesund...
Und peu a peu baut man sich die Schale wieder zu wie das gehäutete Insekt, mit einer Mischung aus Schönem und Praktischem - und Notlösungen. Und neue Wünsche werden wachsen - im Bauch, hinterm Rücken.

Der Ausbruch hat seine Notwendigkeit und seinen Sinn. (Und er hat - allem voran - seinen REIZ!) Aber man sollte nicht glauben, er wäre vermeidbar - ich meine: man könne auf Dauer äußere Bedingungen schaffen, die der Seele ihre Freiheit lassen.

Und weil das so ist, habe ich immer noch die Hoffnung, es könne vielleicht auch innen drin stattfinden: ich könne mich wandeln ohne die Schale zu sprengen, die mich wohl beengt, aber auch schützt. Nicht alles Einpassen müsse ein Stutzen sein, nicht jeder Kompromiß ein Verbiegen.

Welch ein Triumph liegt darin, die Freiheit inmitten der Fesseln zu erfahren! Oh, ich bewundere die Fugen-Komponisten und Sonett-Dichter, die Musiker, die ein Werk notengetreu spielen und doch ihre ganze Lebenserfahrung dahinein zu legen vermögen...

Sich freuen an den Freiräumen - warum nicht? Aber jene vergangene Zeit des doch irgendwie zufriedenen Zuhause- und Zuzweitseins sofort verteufeln - warum muß das sein?

Lieben Gruß, Hans.

 


Dieser Text entstand als Reaktion auf einen Eintrag im Web-Tagebuch von Claudia Klinger, Berlin.
Ich stelle ihn hier als einen der ersten Texte hin, weil er Umfeld und Zeit charakterisiert, in denen ich mit dieser privaten Homepage angefangen habe.


© by , 09mar03,
Update 26may03.