Das Meer in mirEine FilmkritikDer Film von Alejandro Amenábar kam im März 2005 in Deutschland in die Kinos, zu einer Zeit, wo gerade die erbitterte Debatte um die Lebenserhaltung der amerikanischen Koma-Patientin Terri Schiavo geführt wurde. Der Film gründet auf dem autobiografischen Buch "Briefe aus der Hölle". Es geht um den Freitod eines Mannes, der seit einem Unfall vor 27 Jahren querschnittsgelähmt ist - diesen ersehnten Tod also nicht selbst herbeiführen kann und deshalb auf aktive Sterbehilfe angewiesen ist. Obwohl die Filmemacher - und die ihnen wohlgesonnene Kritik - die Diskussion des Begriffes 'unwertes Leben' vermeiden, geht es in dem Film dennoch genau darum, allerdings in einer reziproken Argumentation: Der Behinderte selbst, und offenbar er als einziger, empfindet ein Weiterleben als unwert.
Die Kritik preist den Film ob der 'gelungenen Gratwanderung' zwischen der Euthanasiedebatte und dem
Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Leben (siehe z.B. filmstarts.de).
Die Autoren hätten sich von keiner Interessengruppe instrumentalisieren lassen.
Was also wird hier behauptet? Daß der querschnittsgelähmte Ramon sein Leben seit dem Unfall als ein fortgesetztes Leiden, als unwert erfährt und deshalb sterben will - und daß seine Familie unter dem unfreiwillig ererbten Schicksal, ihn pflegen zu müssen, ebenso leidet. Die Dialoge, in denen Familienmitglieder die Tötung kategorisch ausschließen, sind so inszeniert, daß dieser Standpunkt als dogmatische, unreflektierte Wiederholung einer eingelernten Moral erscheint, als zusätzliche Abstrafung des Kranken - wenn nicht gar als eine Art trotziger Rache derer, die sonst so oft genötigt sind, seinen Willen zu vollziehen. Was aber bildet der Film ab: Einen vitalen Kranken, der harmonisch und ausgeglichen wirkt, der optimal gepflegt wird, der alles genießt, was im Rahmen seiner eingeschränkten Beweglichkeit möglich ist - der schreiben und malen kann, dessen Altersweisheit sogar den pubertierenden Neffen in den Griff bekommt und der überdies die Zuneigung von Frauen erwirbt; eine Familie, die ihr Schicksal vollauf akzeptiert, die den Launen des Kranken mit Gleichmut begegnet und ihn mit keinem Wort, keiner Geste dafür bestraft, daß sein Unfall zum bestimmenden Moment so vieler Lebensläufe geworden ist.
Der Film macht sich zum Agitator der Behauptung, daß jeder Mensch das Recht habe, in völliger
Selbstbestimmung zu leben - und zu sterben. (Behauptet wird damit aber auch dies: Daß ein Leben ohne
die Möglichkeit der Selbstbestimmung kein lebenswertes sei!)
Unehrlich ist der Film daher auch in der Gestalt der Julia, die in der Buchvorlage so nicht vorkommt.
Ihr trauriges Ende unter zunehmendem geistigen Verfall soll die Behauptung illustrieren, daß ein
Leben ohne Fähigkeit zur Selbstbestimmung nur mehr eine lächerliche Karikatur sei.
Die Bilder des Films nähern sich sogar dem Aspekt der Schuld: jugendliche Angeberei war es, die
Ramon damals zum Sprung ins zu flache Wasser verleitete - kein einziger Dialog aber behandelt diese
Frage. Beklemmend sind die Szenen des Abschieds aus dem Elternhaus, in dem Ramon ein halbes Menschenleben
gepflegt wurde: Während vordergründig wiederum die unerschütterliche (hier geradezu zynische) Heiterkeit
des Helden zelebriert wird, zeigt die Kamera aber doch, in welch fürchterlicher Weise die
Durchsetzung des selbstbestimmten Narzismus alle Betroffenen vor den Kopf stößt: 27 Jahre des
Dienens, des Zurückstellens der eigenen Interessen hinter die Erfordernisse der Pflege und zu einem
Gutteil auch hinter die Launen des Kranken werden ohne jeden Dank weggewischt. Die Helfer stehen
beim Abschied da wie die Dummen, die so blöd waren, sich zum Opfer machen zu lassen. Deutlicher
kann man die Leugnung von Schuld, die Weigerung des Kranken, sich mit seiner eigenen Biografie
auseinanderzusetzen, nicht zeigen. Sich heiter und ebenso schuld- wie schadlos aus dem Staub zu
machen - wie es der Film glauben machen will - gelingt eben nicht!
Bezeichnenderweise kneift der Film am Ende davor, die wirklichen Konsequenzen der verabsolutierten 'Selbstbestimmung' zu zeigen... Das letzte Wort hat der Narzismus: der Todgeweihte filmt sich beim Suizid.
© by , 28-aug-05,
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